Veränderung lernen

- Interview

Amac Garbe

Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: Um unsere Welt zu bewahren, müssen wir jetzt handeln. Aber warum tun wir es nicht? Wenn wir lernen wollen, nachhaltiger zu leben, brauchen wir mehr Wissenschaft und mehr Spiritualität - sagt der Dresdner Ökonom, Psychiater und Buchautor Stefan Brunnhuber

Dresden Magazin: Professor Brunnhuber, lassen Sie uns voraussetzen, es gibt einen sozialen Fortschritt. Wo ist für Sie heute vorne?

Stefan Brunnhuber: Vorne ist dort, wo es offen ist. Vorne ist immer unvollkommen; ist etwas, dem wir uns stellen müssen und zugleich etwas, das wir nie vollständig abbilden können. Aber wir können unseren kritischen Verstand einsetzen. Dabei spielt der Wissenschaftsbetrieb eine wichtige Rolle.

Dresden Magazin: Mit diesem kritischen Verstand weisen viele Wissenschaftler darauf hin, dass wir die Ressourcen der Erde immer schneller verbrauchen. Hat auch die Natur des Menschen ihre Grenzen, die Tragweite des Problems zu erkennen und angemessen zu reagieren?

Brunnhuber: Es wird jedenfalls keine gesellschaftliche Transformation zu einer nachhaltigen Form des Zusammenlebens geben, wenn wir die Ergebnisse und Einsichten der Psychologie und Lebenswissenschaften nicht stärker berücksichtigen.

Dresden Magazin: Die naturwissenschaftlichen Fakten allein genügen nicht, damit wir uns bemühen, ein beängstigendes Zukunftsszenario abzuwenden?

Brunnhuber: Menschliche Entscheidungen und Veränderungen haben eigentlich nie auf dem Boden von Fakten stattgefunden. Sehen Sie sich die Zahlen zur absoluten Armut an, zum Klimaschutz und zur Biodiversität, zur Landversiegelung und zu Einkommensunterschieden! Da gibt es robuste Fakten. Aber viele Menschen interessieren diese Fakten nicht. Menschen interessieren Frames, keine Fakten.

Dresden Magazin: Was sind Frames?

Brunnhuber: Frames sind die Vorstellungen, mit deren Hilfe wir die Wirklichkeit interpretieren. Da können Fakten teilweise Berücksichtigung finden – oder auch nicht. Dieser Betrachtungsrahmen wirkt stärker als die Fakten. Wenn Sie etwa ein Klimagegner sind und im Frame haben: Das ist alles eine große Lüge!, dann ändern die besten Studien zum Klimawandel Ihre Einstellung nicht.

Dresden Magazin: Warum ist das so?

Brunnhuber: Das hat damit zu tun, dass es für uns wichtiger ist, unsere Identität zu erhalten, als wissenschaftliche Erkenntnisse zu befolgen. Kalte Zahlen lösen keine Verhaltensänderung aus. Ein Frame dagegen, der unsere Interpretationen der Wirklichkeit prägt, wirkt semantisch, körperlich und emotional zugleich.

Dresden Magazin: Könnte nicht der Begriff der „Klimaerwärmung“ ein solcher Frame sein?

Ja, aber leider ist der ungeeignet, menschliches Verhalten zu ändern. Er löst eher etwas aus wie: „Jetzt kauf ich mir noch ein T-Shirt, weil es warm wird.“ Es ist Aufgabe der Lebenswissenschaften, so etwas aufzuzeigen. Der Geist ist instabil und macht dabei regelmäßig Fehler. Wir dissoziieren ständig, damit die Wirklichkeit in der Außenwelt mit der Wirklichkeit in der Innenwelt irgendwie zusammenpasst – und erzählen uns dabei Geschichten, die unseren Interpretationen näher kommen, weil die Wirklichkeit zu komplex geworden ist.

Dresden ist anders. Aber man hat hier nicht das Verlangen, das ständig sagen zu müssen.

Dresden Magazin: Diese Komplexität schüchtert ein. Welche Kulturtechnik hilft uns in Zukunft beim Umgang mit Angst?


Brunnhuber: Für mich sind es vor allem zwei Bereiche: Wissenschaft und Spiritualität. Wissenschaften bieten immer noch ein relativ hohes Maß an Kohärenz und Robustheit. Politische Entscheidungen in finanzpolitischen Fragen zum Beispiel können ohne empirische Daten gar nicht getroffen werden. Der zweite große Bereich, der den Bewusstseinswandel voranbringen kann, ist eine spirituelle Praxis. Sie zwingt zur Innenschau und stellt den Einzelnen vor die Frage: Was ist wirklich wichtig? Yoga, Zen, Achtsamkeitsübungen, Meditation und Fasten können zeigen, dass alle Menschen das Potenzial für nachhaltige Verhaltensänderungen in sich tragen.

Dresden Magazin: Wie könnte gesellschaftliche Transformation aussehen?


Brunnhuber: Man sieht sie schon, vor allem bei den jüngeren Generationen. Viele Menschen fangen an, ihr Leben umzustellen, weil sie das, was uns gesagt wird, nicht mehr so ohne weiteres glauben. Das zeigt sich an Entwicklungen wie Urban Gardening, Reskilling (Erlernen von Techniken für nachhaltiges Wirtschaften, Anm. d. Red.), Debatten über Alternativen zum quantitativen Wachstum, Slow Food oder Car Sharing. Immer mehr Menschen essen bewusster und leben nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“. Auch in der Politikberatung verändert sich langsam etwas. Manchmal muss man eben das Richtige im Falschen tun.

Dresden Magazin: Beobachten Sie das auch in Dresden?

Brunnhuber: Wir haben viele Initiativen, ein großes Netzwerk im Urban Gardening etwa, mit der Komplementärwährungsszene bin ich auch verbunden. Es gibt zudem viele kulturelle Projekte. Dresden ist eine Kulturhauptstadt, auch wenn das in der medialen Außendarstellung oft nicht wahrgenommen wird.

Dresden Magazin: Woran liegt das?

Brunnhuber: Dresden ist ein Paradigma für Understatement. Bis auf die Montagsdemonstrationen ist die Stadt eher leise. Dresden ist anders, aber man hat hier nicht das Verlangen, das auch ständig sagen zu müssen. Vielleicht sollte man es so sagen: Dresden ist nicht nur ästhetisch schön, sondern auch innovativ, kreativ und weltoffen. Deshalb lebe ich auch so gerne hier.

Weiterlesen: „Die Kunst der Transformation. Wie wir lernen, die Welt zu verändern“ von Stefan Brunnhuber, Verlag Herder, 2016, 24,99 Euro

Stefan Brunnhuber ist Wirtschaftssoziologe und Arzt. Er leitet die Diakonie Kliniken Zschadraß und lehrt an der Hochschule Mittweida Psychologie und Nachhaltigkeit. Zudem ist er
 Mitglied des Club of Rome und Senator der Europäischen Akademie der Wissenschaften. (stefan-brunnhuber.de)

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