Von Pflanzen und Menschen

Ausstellung

Andreas Weinand

Die Sonderausstellung „Von Pflanzen und Menschen“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden erzählt in drei Kapiteln von unserem Zusammenleben mit der Natur. Der „Streifzug über den grünen Planeten“, so der Untertitel, beginnt mit der frühesten Evolution und führt bis zu aktuellen Debatten über Klimawandel und Gentechnik.

Es geschieht nicht viel in John Baldessaris Film „Teaching a plant the alphabet“ (einer Pflanze das Alphabet lehren) von 1972. Einer kleinen Topfpflanze werden knapp 20 Minuten lang Buchstaben vorgelesen, von A bis Z ohne Ergebnis. In einer Galerie wäre diese Übung im Absurden vielleicht nur ein Anlass zum Schmunzeln. Im Deutschen Hygiene-Museum blickt man jedoch gewohnheitsmäßig aufs große Ganze.

A, a, a, a, a: eine absurde Lehrstunde. © John Baldessari, Teaching a Plant the Alphabet, 1972, Film

Kathrin Meyer ist Kuratorin der Sonderausstellung „Von Pflanzen und Menschen“. „Das ist überhaupt die erste Ausstellung in Europa, die sich interdisziplinär mit diesem Thema auseinandersetzt“, sagt sie. „Wir nennen uns ‚Das Museum von Menschen’, aber über unser Verhältnis zu Pflanzen, die für uns unersetzlich sind, gab es hier bisher noch nichts.“

Und so stehen Kunstwerke neben Exponaten aus der Wissenschaft und Alltagsgegenständen. Populärkultur und Literatur, Musik, Klang- und Videoinstallationen verbinden sich mit historischen Zeugnissen zu zahlreichen, ganz unterschiedlichen Erzählungen. Die Ausstellung ist in drei Kapitel unterteilt: „Zu den Wurzeln“, „Saat und Ernte“ sowie „Ins Grüne! Leben im planetarischen Garten“.

Haus- und Reiseapotheke Ende 18. Jh., Mahagoni, Glas, Metall, pflanzliche und mineralische Präparate, Brokatpapier, Ph.M.3511 © Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg / Foto: G. Janßen

Man erfährt beispielsweise, dass man der Vegetation zuhören kann: Der Saftfluss, der Trockenstress, all ihre Lebensprozesse lassen sich akustisch abbilden.

Im ersten Kapitel „Zu den Wurzeln“ entdecken Besucher zudem, dass auch Pflanzen sprechen, auf eine ganz eigene Weise. Thesen zum Thema werden kontrovers diskutiert. Sind Pflanzen zu intentionalem Verhalten fähig? Verfügen sie gar über Intelligenz? Der italienische Biologe Stefano Mancuso und seine Kollegen sprechen von „Pflanzenneurobiologie“ und legen mit ihren Versuchen nahe, dass Pflanzen Sinneseindrücke verarbeiten, Entscheidungen treffen und auch kommunizieren können – sicher nicht mit Buchstabiertafeln, aber mit einem komplexen chemischen Vokabular.

Postkarte mit Blumensprache, um 1900. Mit einem Blumenstrauß heute war das Zeichensystem, das sich im 18. Jahrhundert entwickelt hat, nicht vergleichbar: Jede Blume hat eine spezielle Bedeutung.

„In der europäischen Geistesgeschichte ist spätestens seit Aristoteles eines klar: dass der Mensch an der Spitze der Lebewesen steht und Pflanzen gerade einmal über den Steinen. Aber es gibt auch andere Ansätze: Der Mensch ist als ein Lebewesen unter anderen mit allem verbunden – aber er hat, ungeheuren Einfluss auf die Ökosysteme. Wir können nicht mehr anders, als uns stärker mit der Natur zu beschäftigen – ob wir wollen oder nicht“, sagt Kathrin Meyer.

Darum geht es im zweiten Kapitel „Saat und Ernte“. Die Natur ist dem Menschen Mittel zum Zweck: Nahrungsquelle, Grundlage von Medizin und scheinbar unbegrenzt verfügbare Materialquelle. Dabei tritt mit dem Klimawandel und dem Artensterben offenkundig zu Tage, welche katastrophalen Auswirkungen unsere westlich-industrialisierte Lebensweise hat. „Die Frage dieses Kapitels ist, wie unsere Existenzgrundlage produziert und gesetzlich reguliert wird. Es ist eine Frage von Verantwortung,“ so die Kuratorin.

Prypjat, aus der Serie „Dritte Landschaft“, 2016, Piezo-Pigmentdruck. Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl ist Pripyat eine Geisterstadt – die Natur wuchert dort ganz ohne Menschen. © Volker Kreidler

Doch was für Verhältnisse jenseits von Kontrolle und Ausbeutung gibt es noch? „Ins Grüne! Leben im planetarischen Garten“ entwickelt Gedanken über lebendige Biotope und die Faszination des Menschen für die Natur. Neben Tipps für eigene Gartenprojekte hält das Kapitel auch Lektionen in Kontrollverlust parat: So erfährt man, dass der Riesen-Bärenklau, diese giftige Plage, als Zierpflanze nach Europa gekommen ist – wie die Tulpe, die wiederum ganz ungefährlich erscheint. Allerding ist sie im 17. Jahrhundert zum Spekulationsobjekt geworden: In den Niederlanden führte die sogenannte Tulpenmanie, der Handel mit Blumenzwiebeln, zunächst zu astronomischen Preissteigerungen und danach zum ersten dokumentierten Börsencrash der Geschichte.

„Was für ein Verhältnis zur Natur, zu Pflanzen wäre denkbar, das nicht von Nutzen oder von Ästhetik geprägt ist?“, überlegt Kathrin Meyer – und ist sicher, dass man die Ausstellung „mit vielen Fragen“ verlassen wird: „Wie sehen wir uns im Verhältnis zu Pflanzen, zur Natur? Und wie ist es möglich, so zu leben, dass kommende Generationen noch etwas davon haben?“

Henri Matisse mit Monstera deliciosa und Hund um 1940, Fotografie. Das Fensterblatt ist zur Stilikone geworden – und auch Kathrin Meyers Lieblingspflanze. © Henri Matisse

„Von Pflanzen und Menschen. Ein Streifzug über den grünen Planeten“ ist vom 19. April 2019 bis 19. April 2020 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden, zu sehen.

Die Ausstellung liefert natürlich auch hilfreiche Tipps für den eigenen kleinen Garten. Wer darüber hinaus aktiv werden möchte, kann sich an den Gemeinschaftsgärten der Vereine „UFER-Projekte“ oder „Gartennetzwerk“ beteiligen.

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